Forschungsschwerpunkt: Fiktionale Welten
Unsere Forschung setzt sich grundlegend damit auseinander, wie filmische Bilder unser Verhältnis zu einer gemeinsam geteilten Wirklichkeit nicht einfach reproduzieren, sondern herstellen und transformieren. Sei es in Bezug auf Metaphorisierungen, die nicht einfach gegebene Bedeutungen übermitteln, sondern auf eine umfassende Erfahrungswirklichkeit – eine Welt – bezogen sind und die Bedingungen dieses Bezugs im Prozess der Metaphorisierung selbst herstellen; sei es in der theoretischen und analytischen Beschreibung des Genrekinos als ein System unterschiedlicher expressiver Modalitäten, welches die Zuschauer*innen affektiv adressiert und in einer gemeinschaftlich geteilten Empfindungswelt verortet. Dieses System steht für die Erfahrung ein, dass wir auf höchst unterschiedliche Weise mit der Welt – und jenen, mit denen wir diese Welt teilen – affektiv verwoben sind. Indem wir die Frage nach der Gültigkeit pluraler Weltentwürfe des poetischen Machens über das Geschmacksurteil theoretisch gefasst haben, welches das affektive Selbstempfinden mit dem Anspruch verbindet, für alle anderen zu gelten, die diese gemeinsame Welt teilen, haben wir schließlich Poetik auch in ihrer politischen Dimension und als Zugang zu einem Raum historischer Erfahrung bestimmt.
In diesem Semester wollen wir diesen Bezug auf den Weltbegriff explizit in den Vordergrund rücken. Dabei untersucht eine Cinepoetics-Ringvorlesung mit einem breiten Spektrum an Fallstudien und theoretisch-begrifflichen Ansätzen die Facettenvielfalt von Weltversionen und der jeweiligen Zugänge zu ihnen. Die pandemiebedingte Digitalisierung des akademischen Austausches soll dabei auch Anlass sein, sich in experimentelleren Formen mit Material und Methode auseinanderzusetzen – nicht zuletzt unseren Schwerpunkt der videografischen Forschung aufgreifend.
In unserem Workshop-Programm wollen wir dann gemeinsam mit unseren Fellows den Weltbegriff über drei zentrale Fragestellungen perspektivieren:
Erstens: In welchem Verhältnis stehen die verschiedenen filmischen Weltentwürfe in ihrer Pluralität zueinander und was bedeutet das für unser Verständnis von "der einen Welt"? Diese Frage beschäftigt uns vor allem vor dem Hintergrund der Destabilisierung der ökologischen Systeme und des "Earth Systems" als Ganzem: Wie verhalten sich die Welten des Films zu der Welttransformation des Anthropozäns? Wie können wir uns über filmische Bilder zu unserer Heimat, der Erde, zu den Lebenswelten und Umwelten verschiedener Spezies und Existenzweisen in Beziehung setzen?
Zweitens: Wie begreifen wir die Anderswelten der Fantastik in ihrer Differenz zur Alltagswirklichkeit nicht abwertend als Eskapismus, sondern als Hervorbringung spezifischer, geteilter Sinnlichkeiten? Inwiefern sind die Prozesse der Fiktionalisierung und Fantasietätigkeit als Verfahren einer Poiesis zu beschreiben, die keine Abkehr von der Welt, sondern ein verkörpertes Genießen des Welterzeugens explizieren?
Drittens: In Anknüpfung an Stanley Cavell und Hannah Arendt sowie in Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen filmwissenschaftlicher Theoriebildung wollen wir schließlich die konzeptuelle Arbeit am Weltbegriff weiterführen. Wie stellen Filme ihre Welt, als ein Gewebe möglicher Wahrnehmungen, Bewegungen und Affekte und den darin begründeten Relationen, stets erst in Ko-Produktion mit den Zuschauer*innen her und wie kann man die Welthaltigkeit filmischer Bilder jenseits der repräsentierenden Abbildung beschreiben?