Forschungsschwerpunkt: Audiovisuelle Kulturen
Audiovisuelle Bilder sind immer schon in historische Bewegungen von Techniken, Formaten, Formen und Poetiken durch einen globalen Raum eingebettet. Dieser Raum ist aber nicht einfach als Struktur kultureller Kontexte, Differenzen, Hegemonien und Peripherien gegeben. Vielmehr wird er in den einzelnen Übertragungen und Überschreitungen sowie in jedem einzelnen Akt des Filme-Sehens hervorgebracht und seinerseits in Bewegung versetzt. In den vorhergehenden Semestern haben wir diesen Gedanken theoretisch an ein Verständnis von filmischen Bildern als Weltprojektionen gebunden und die Pluralität der sich verzweigenden Projektionen als Schnittstelle von Historizität und Medialität thematisiert: Die Poiesis des Filme-Sehens vollzieht sich demnach nicht nur als Rekonstruktion der Bedeutungsproduktion eines Films und seines Aussagegehaltes über Sachverhalte der Wirklichkeit, sondern bezieht sich stets reflexiv auf eine Audiovisualität kultureller Gemeinschaften.
Aber wie genau ist die Bildung solcher kultureller Gemeinschaften verwoben mit der – materiellen und ökonomischen, affektiven und diskursiven – Zirkulation audiovisueller Bilder? Welche Rolle spielen Prozesse der Transmedialität, der Medienkonvergenz und -divergenz? Welche Effekte zeitigen die Übertragungen audiovisueller Bilder von einem Format in ein anderes (z.B. von Zelluloid auf Videokassette), von einer Aufführungspraxis in eine andere (vom öffentlichen in den privaten Raum, von Kino zum Post-Cinema)? Wie entstehen partikulare, transitorische Gemeinschaftsformationen des Exils, der Diaspora und der post-migrantischen Gesellschaft durch die Interaktion mit ganz verstreuten, zuweilen widerstreitenden Logiken kultureller Produktion? Wie setzen Filmschaffende verschiedene lokal oder regional verortete visuelle, sonorische oder performative Traditionen mit den Gesetzmäßigkeiten einer global agierenden Unterhaltungsindustrie ins Verhältnis?
Entlang dieser Fragen soll es in diesem Semester darum gehen, die vielfältigen, heterogenen Prozesse der Interaktion zwischen tradierten kulturellen Sinnressourcen und den Dynamisierungen durch Transfers und Aneignungsprozesse im globalen Transitraum audiovisueller Kulturen in den Blick zu nehmen. Wir wollen untersuchen, wie die Dynamik solcher Transfers es Zuschauer*innen erlaubt, sich auf ihre erlebte Wirklichkeit als ein sich veränderndes oder konsolidierendes Feld der Wahrnehmbarkeiten, Empfindsamkeiten und Handlungsweisen, der In- und Exklusionen zu beziehen. Dabei geht es uns auch darum, starre und eindimensionale Konzepte von kultureller Identität und kulturellem Gedächtnis zu hinterfragen und stattdessen die sich stetig neuformierenden Grenzverläufe partikularer Geschmacksgemeinschaften in ihren ganz eigenen Dynamiken zu verfolgen. Welche hegemonialen Macht- und Distinktionsprozesse finden in der Aneignung fremder Kultur statt und welche eigensinnigen Aneignungen werden dem mitunter entgegengesetzt? Wie modulieren unterschiedliche Praktiken des Filme-Sehens die gemeinschaftsbildenden Horizonte genuin audiovisueller Kulturen?