Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodrama und das Theater der Empfindsamkeit.
Hermann Kappelhoff – 2004
Im Zentrum dieser kulturgeschichtlichen Untersuchung steht das Film-Melodram. Leitfigur ist die Tränenseligkeit, das >sentimentale Genießen< im dunklen Raum des Kinos. Anders als die gängige Vorstellung versteht diese Studie das sentimentale Genießen jedoch nicht als Niederung eines höheren ästhetischen Gefühls, sondern als Zentrum einer kulturellen Praxis: nämlich der ästhetischen Einübung der Verinnerlichung. In direkter Linie wird das moderne Film-Melodram - bis heute das Grundmuster der meisten erfolgreichen Hollywood-Produktionen - aus der Gründerzeit der bürgerlichen Seele entwickelt: aus dem Theater der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts. Die Lektüren der ästhetischen Konzepte eines Rousseau, Lessing, Diderot oder Hegel sowie deren Überblendung mit filmanalytischen Skizzen, kulturtheoretischen und mediengeschichtlichen Reflexionen des Unterhaltunskinos konturieren ein oszillierendes Mosaik verschiedener, aber verwandter Konzepte der >Bildung< der bürgerlichen Seele: die Inszenierung einer lustvollen, affektiven Selbstbeziehung in der black box Kino tritt als die Matrix moderner Empfindsamkeit hervor. Greifbar wird diese These in Analysen klassischer Hollywood-Melodramen von Regisseuren wie Rouben Mamoulian, Josef von Sternberg, George Cukor, William Wyler und George Stevens - oder von Blockbustern unserer Tage wie etwa A.I. von Steven Spielberg und TITANIC von James Cameron. Nicht zuletzt liefert diese Studie auch eine ganz eigene Theorie des Kinos.